Britta war schier untröstlich, als sie nach
40jähriger Ehe ihren Partner verloren hatte. Plötzlich stand sie alleine da und
wusste nicht mehr, wie sie das Leben meistern sollte. Ihr Arzt riet, sie solle sich eine Katze oder
einen Hund zulegen.
‚Warum eigentlich
nicht’,
dachte Britta und
versuchte es mit einem verschmusten kleinen Rauhaardackel, der fortan viel
Ablenkung und Freude in ihr einsames Dasein brachte.
„Ist doch nur ein
Tier“, meinte ihre Freundin.
Nur ein Tier?
Ist es nicht
derselbe Lebensstrom, der in aller Kreatur pulst?
Mein Interesse
für die vierbeinigen Lebenströster war geweckt. Auf Spaziergängen richtete sich
mein Augenmerk fortan auf die Hunde und darauf, wer mit wem ausgeht.
Ältere Damen
bevorzugten ganz offensichtlich die kleineren Exemplare. Da rannte schon ein
flinker weißer Spitz mit wissbegierigen Augen auf mich zu, sprang an mir hoch
und beschnupperte mich neugierig. Es dauerte gar nicht lange da bummelte auf
kurzen Beinchen gemächlich ein schwarzer struppiger Schnauzer mit
hochgestellten Ohren neben seinem Frauchen daher.
’Dieser kleine
Kerl hat ein beträchtliches Breitformat’,
stellte ich
amüsiert fest, denn was nun auf mich zukam, war nur ein Strich. Ein kleines
Windhündchen so zart und dünn wie eine Bleistiftzeichnung, aus einem Bilderbuch
entsprungen.
Sehr milde gegen
diese liebenswerten Vierbeiner gestimmt, setzte ich meinen Spaziergang fort.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass kurz darauf ein angriffslustiger kleiner Mops
daher saust und sich versucht an meiner Pelzjacke festzubeißen. Seine
Besitzerin entschuldigte sich:
„Er ist eben noch
sehr jung“.
All ihre
Erziehungsversuche scheiterten kläglich. Da halfen weder Bitten noch Schelten. Das
Möpschen sollte auf den imposanten Namen Cäsar hören. Tat es aber nicht. Zu
sehr fasziniert war dieses quirlige Kerlchen von meinem Pelz, der ihm die
ideale Gelegenheit bot, seine Zähnchen nach Herzenslust auszuprobieren.
„Er will immer
nur spielen“,
kommentierte sein
Frauchen die zerstörerische Lust ihres Schützlings.
Ob man von den
Hunden Rückschlüsse auf ihre Besitzer/innen ziehen kann?
Ich setzte meine
Beobachtungen ‚wer mit wem spazieren
geht’ fort und machte dabei ganz köstliche Entdeckungen. Ein
geheimnisvoller Zauber ging von diesen kleinen beseelten Wesen aus
Anderntags stieg
ich den Berg hinauf, die schmale Fahrstraße mit den vielen Kurven. Außer mir
kein Spaziergänger weit und breit. Nur Autos sausten an mir
vorbei, hinauf
und hinunter.
‚Als Fußgänger
muss man höllisch
auf der Hut sein’, dachte ich.
Da fiel mein
Blick auf das kleine Hündchen, das mutterseelenallein ganz unbekümmert die
Straße hinunter marschierte, alle Vorsicht außeracht lassend.
‚Wo willst du
denn hin so allein?’ fragte ich besorgt.
Das weiß-braune Beagelchen mit Stummelschwänzchen spitzte die Ohren, drehte
sich um und sah mich mit fragenden Augen an. Es rührte sich nicht von der
Stelle, blieb mitten auf der Fahrbahn wie angewurzelt stehen, ganz ins
Anschauen versunken. Als gäbe es nur uns beide auf dieser Straße.
Dem
heranbrausenden Fahrer eines Kombiwagens gab ich ein Zeichen, er drosselte
seinen Motor, hielt an und stand eine Weile zwischen mir und dem Hündchen,
bevor er langsam und behutsam um den ganz und gar verkehrsuntüchtigen kleinen
Spaziergänger herumfuhr.
Ich verweilte
noch einige Minuten, aufmerksam das kleine Tier betrachtend, das mich
unverändert anblickte.
‚Ob ich mich zu
ihm gesellen soll? ’ überlegte ich, fürchtete aber das kleine Wesen noch mehr
zu irritieren und setzte meinen Weg in entgegengesetzter Richtung fort.
Aber die dunklen
fragenden Augen des Hündchens konnte ich nicht vergessen. Und ich dachte an die
Worte des russischen Dichters Iwan Turgenjew:
„Es ist das
gleiche Flämmchen, das in uns brennt und leuchtet, nicht mehr Tier und Mensch
sind es, es ist das ein- und dasselbe Leben, das sich in zwei aufeinander
gerichteten Augenpaaren scheu aneinander schmiegt.“